Der Frostspanner

Was macht der Spanner im Winterwald?

aus der Serie „Natur vor der Haustür“. Texte & Bilder (c) Lothar Feisel

Großer Frostspanner (Männchen)

Schmetterlinge gelten gemeinhin als zarte, zerbrechliche Wesen, die sich besonders bei warmen Temperaturen im Sommer wohl fühlen. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von Arten, die erst dann richtig „munter“ werden, wenn die meisten anderen Insekten ihren jährlichen Lebenszyklus längst beendet haben oder sich bereits in Kältestarre in geschützten Überwinterungsquartieren befinden. Die Rede ist von bestimmten Nachtfaltern, deren Flugzeit anstatt in der warmen Jahreszeit im Winterhalbjahr liegt.

Nachtfalter werden im Volksmund gerne als „Motten“ bezeichnet. Allerdings fasst man unter der wissenschaftlich wenig exakten Bezeichnung „Nachtfalter“ dutzende verschiedene Schmetterlingsfamilien zusammen. Neben diversen Motten-Familien werden zu den Nachtfaltern auch Familien mit so originellen Namen wie Glucken (Lasiocampidae), Schwärmer (Sphingidae), Spanner (Geometridae), Eulen (-falter) (Noctuidae), Bärenspinner (Arctiidae), Holzbohrer (Cossidae), Widderchen (Zygaenidae) oder Zünsler (Pyralidae) gezählt.

Buchen Frostspanner (Männchen)

Einige der bekanntesten Nachtfalter, die in der kalten Jahreszeit unterwegs sind, gehören in die Familie der Spanner. Der Name dieser Falterfamilie bezieht sich auf die Fortbewegungsweise ihrer Raupen. Beim Kriechen schieben sie ihren Hinterleib weit nach vorne zum Kopf hin. Der längliche Raupenkörper wird dabei zu einer Hufeisenform aufgewölbt, er wirkt wie „gespannt“. Anschließend wird die „Spannung“ des Körpers in eine Vorwärtsbewegung umgewandelt, indem der Vorderkörper vorwärts gestreckt wird. Dann beginnt der Bewegungsablauf von neuem.

Die sogenannten Frostspanner tragen bereits einen Hinweis auf ihre Flugzeit in ihrem Namen. Tatsächlich fallen beim Kleinen, Großen und Buchen-Frostspanner das Schlüpfen, und damit das Auftreten der Falter im Oktober oder November, meist in die Zeit der ersten Nachtfröste. Während die Falter lediglich in der Dämmerung und in der Nacht umherfliegen, kann man tagsüber zahlreiche Exemplare an Bäumen ruhend finden. Kleiner (Operophtera brumata) und Großer Frostspanner (Erannis defoliaria) kommen häufig auch im Siedlungsbereich vor. Man kann die Falter bis in den Dezember hinein tagsüber an Hauswänden oder Fensterscheiben sitzend entdecken, wo sie von der nächtlichen Beleuchtung angelockt wurden. Der Anblick von ruhenden Frostspannern selbst bei Schneeschauern oder stürmischem Regen hat schon etwas Skurriles an sich.

Die Raupen von Kleinem und Großen Frostspanner ernähren sich von zahlreichen Laubgehölzen. Leider fallen in ihren Speiseplan auch häufig die Blätter von Obstbäumen, was ihnen bei manchem Gartenliebhaber einen schlechten Ruf einbrachte. Die Raupen vom Buchen-Frostspanner (Operophtera fagata) hingegen findet man, wie sein Name verrät, meist in Buchen-Wäldern. Sie fressen im Mai und Juni bevorzugt an frischem Buchen-Laub.

Buchen Frostspanner (Weibchen)

Neben der ungewöhnlichen Flugzeit besitzen die Frostspanner eine weitere merkwürdige Eigenheit: die umherfliegenden Falter sind ausschließlich männliche Tiere. Die Weibchen haben stark zurückgebildete Flügel und sind gar nicht flugfähig! Nach dem Schlüpfen aus der im Boden liegenden Puppenhülle krabbeln sie mit ihren langen Beinchen auf den nächsten Baumstamm und warten hier auf Männchen, die sie durch das Verströmen von Sexual-Duftstoffen anlocken. Nach erfolgter Paarung krabbeln die Weibchen weiter in die Baumkrone, wo sie mehrere hundert Eier an Ästen und Blattknospen ablegen. Die flügellosen Weibchen haben mit der Eiablage ihre Bestimmung erfüllt und sterben kurz darauf. Den Eiern entschlüpfen im folgenden Frühjahr winzige Räupchen, die sich dann am frischen Laub gütlich tun.

Auf ihre Flügel kann das Weibchen bei seiner Aufgabe, der Produktion und dem Verbreiten von Eiern zur Arterhaltung, verzichten. Sie wären in der rauen und häufig windigen Witterung zur Frühwinterzeit sogar eher hinderlich. Die für die Arterhaltung wichtigeren und zahlenmäßig gegenüber den Männchen weniger häufig vorkommenden Weibchen könnten Gefahr laufen, vom Wind „verdriftet“ zu werden.

Beide Geschlechter besitzen auch keinen Saugrüssel, mit welchem sie Nahrung an Blüten aufnehmen könnten. Diese ist für die Falter zu dieser Jahreszeit ohnehin nicht verfügbar, so dass dieses Körperteil „eingespart“ werden kann. Die während ihrer Zeit als Raupe aufgenommene Nahrung liefert für das nur kurze Leben der „fertigen“ Falter ausreichend Energie.

Da die Evolution nur selten „irrt“ stellt sich die Frage, welchen Vorteil ziehen diese Arten nun daraus, dass ihr Falterleben in die für Schmetterlinge eher ungewöhnliche Jahreszeit fällt? Tatsächlich werden die Frostspanner im Winter von wesentlich weniger Fressfeinden bedroht, als die im Sommer fliegenden Nachtfalter. Vor allem die in der Nacht den umherfliegenden „Motten“ nachstellenden Fledermäuse befinden sich längst im Winterquartier und auch von den Vögeln, die am Tage den ruhenden Faltern gefährlich werden können, sind bereits eine große Zahl auf ihrem Zug Richtung Süden. Letztendlich scheint die Strategie der Frostspanner aufzugehen, zählen sie doch zu den häufigsten Nachtfaltern überhaupt.


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