Verehrt und gehasst – Die Mistel
aus der Serie „Natur vor der Haustür“. Texte & Bilder (c) Lothar Feisel
In den nächsten Tagen werden sie wieder in vielen Ländern auf der ganzen Welt in unzähligen Wohnungen unter Zimmerdecken oder über Haustüren hängen: Mistelzweige. Der als beliebter Weihnachtsschmuck dienenden Mistel-Pflanze wird während des restlichen Jahres allerdings eher wenig Beachtung geschenkt, im Obstanbau wird sie sogar energisch bekämpft.
Misteln sind Halbschmarotzer, die auf anderen Bäumen und Sträuchern wachsen. Mit zahlreichen Arten sind sie weltweit verbreitet und kommen vorwiegend in den Tropen und Subtropen vor. In Deutschland ist die Weißbeerige oder Weiße Mistel (Viscum album) beheimatet, welche hier drei Unterarten bildet. Je nach Wirtspflanze handelt es sich dabei um die Tannen-Mistel, die Kiefern-Mistel oder die von allen am weitesten verbreitete Laubholz-Mistel (Viscum album ssp. album).
Besonders in den Wintermonaten kann man vielerorts die dunklen „Puschel“ der Laubholz-Mistel auf ihren kahlen Wirtsbäumen deutlich erkennen. Mit ihrem immergrünen, gabelig verzweigten Geäst, bildet sie dichte, kugelförmige Sträucher, die im Laufe vieler Jahre bis 1m Durchmesser erreichen können. Besonders häufig wächst der Parasit auf Apfelbäumen, Weiden, Pappeln, Linden, Ebereschen oder auch auf diversen Sträuchern. Auf Buchen wird er hingegen nie gefunden.
Vögel als „Geburtshelfer“
Während sich die kleinen unscheinbaren Blüten schon im zeitigen Frühjahr zeigen, reifen die weißlichen Beeren der Mistel erst im Dezember heran. In den Wintermonaten dienen die etwa 1cm großen Beeren mit ihrem klebrigen Fruchtfleisch zahlreichen Vögeln als willkommene Nahrung. Beim Fressen der Beeren werden die in ihrem Inneren befindlichen Samen von den Vögeln weiterverbreitet. Sie bleiben an ihren Schnäbeln kleben und werden irgendwo abgestreift oder passieren unverdaut den Vogeldarm und werden mit dem Kot ausgeschieden. So gelangen sie auf andere Äste und weitere Bäume, wo die daran anhaftenden Samen schließlich auskeimen können. Bei der Keimung auf der Wirtspflanze bildet die junge Mistel eine Senkerwurzel aus, die sich durch Rinde und Holz bohrt, bis sie Anschluss an das Wasserleitungssystem des Wirtes findet. So „bedient“ sich die Mistel am lebensnotwendigen Wasser und an Nährstoffen und lässt sich von ihrem Wirt mitversorgen. Daneben betreibt sie aber mit ihren ledrigen Blättern auch selbst noch Photosynthese für ihr Wachstum.
Schon immer etwas Besonderes
In alten Sagen und Märchen spielt die Mistel eine große Rolle. Schon Kelten und Germanen schrieben ihr besondere Kräfte und Fähigkeiten zu. Als Pflanze, die nicht den Erdboden berührt, nahm sie eine Sonderstellung ein und galt für die Druiden der Kelten als die heiligste aller Pflanzen. Die überlieferten Berichte über die Mistel-Verehrung der Kelten, fand in moderner Zeit mit den Comics von Asterix und Obelix Einzug in die „Weltliteratur“: ohne die Mistel als Zutat, konnte der unbesiegbar machende „Zaubertrank“ der Gallier nicht gebraut werden.
Noch heute ist die Mistel in vielen Ländern Bestandteil von alten Bräuchen, die besonders zur Weihnachtszeit und zu Neujahr praktiziert werden. In den USA, in England und Frankreich gelten in Häusern aufgehängte Mistelzweige als Glückssymbol, das nicht nur Paaren, die sich unter ihnen küssen, Glück verspricht. In anderen Ländern, z.B. der Schweiz, gilt die Mistel als Fruchtbarkeitssymbol.
Auch als Heilpflanze hat die Mistel eine lange Tradition. In der Volksmedizin wird Mistel-Tee als Mittel gegen Epilepsie und Krämpfe, zur Nervenberuhigung und bei leichten Herzbeschwerden angewendet. In homöopathischen Arzneimitteln findet sich Mistelkraut noch heute und wird zur Durchblutungsförderung und gegen Bluthochdruck eingesetzt. Wie viele andere Heilpflanzen auch, ist die Weißbeerige Mistel als solche in allen Pflanzenteilen giftig.
Des einen Freud…
Bis vor wenigen Jahrzehnten galt die Mistel noch als selten, in vielen Regionen hat sie sich allerdings inzwischen stark ausgebreitet. Da sie besonders leicht geschwächte Bäume befallen kann, wird ihr vermehrtes Auftreten zuweilen mit dem Klimawandel und dessen negativen Auswirkungen auf die Bäume in Zusammenhang gebracht. Besonders in Obstanbaugebieten mit alten, wertvollen Streuobstbeständen betrachtet man die Ausbreitung der Laubholz-Mistel mit Sorge. Stark befallene Obstbäume können von dem Schmarotzer zum Absterben gebracht werden und durch das größere Gewicht und die Erhöhung der Windlast, werden die Bäume anfälliger für Sturmereignisse. Mancherorts versucht man daher so viele Misteln wie möglich aus den Bäumen zu entfernen. Was aus Sicht der Obstanbauer verständlich erscheint, gereicht der Vogelwelt jedoch zum Nachteil. Nach neueren Untersuchungen werden die Mistel-Beeren von mindestens 27 Vogelarten gefressen und spielen somit für sie eine große, bislang weitgehend unterschätzte Rolle als Nahrungsressource in der kargen Winterzeit.
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