Wenn Winzlinge wandern

Gipfelstürmer und Langstreckenflieger – wenn Winzlinge wandern

aus der Serie „Natur vor der Haustür“. Texte & Bilder (c) Lothar Feisel

Dass viele unserer einheimischen Vogelarten lange Wanderungen unternehmen, um die kalte Jahreszeit in weit südlich gelegenen Regionen bei angenehmeren Temperaturen zu verbringen, ist allseits bekannt. Aber nicht nur unsere Zugvögel können alljährlich weite Flugstrecken hinter sich bringen, auch viele Insektenarten zeigen ein ausgeprägtes Wanderverhalten und überwinden dabei schier unglaubliche Distanzen.

Besuch aus Afrika

Distelfalter
Distelfalter

In den letzten Wochen dieses bislang recht falterarmen Sommers, fiel in so manchem Mellnauer Garten eine große Zahl eines relativ stattlichen Schmetterlings auf. Es handelte sich dabei um Distelfalter (Vanessa cardui), eine Art, die man zu den Wanderfaltern zählt. Ihre orange-braune Grundfärbung und die schwarz-weißen Flügelspitzen waren bei den Tieren auffallend unterschiedlich intensiv gefärbt. So ließen sich „frische“ Exemplare mit leuchtenden Farben ebenso feststellen, wie ausgeblichene Tiere, die zudem häufig  sichtlich „zerfledderte“ Flügel aufwiesen.

Den Winter verbringt dieser Tagfalter in Afrika, von dort macht er sich im Frühling, wenn seine Nahrungsressourcen schwinden, auf den Weg in Richtung Norden. Häufig bildet er bereits im Mittelmeerraum eine neue Generation, die ihrerseits ebenfalls weiter nach Mitteleuropa und bis nach Skandinavien zieht. Aber auch Tiere der Ursprungsgeneration schaffen bei geeigneten Wetter- und Flugbedingungen immer wieder den Weg bis zu uns. Diese Wetterkonstellationen waren in den letzten Wochen ungewöhnlich gut, so dass sie in diesem Jahr einen Masseneinflug dieser Schmetterlingsart nach Mitteleuropa begünstigten. Ihre Herkunftsgebiete können sogar südlich der Sahara liegen, so dass diese vermeintlich zarten Geschöpfe bei ihrer Wanderung mehrere tausend Kilometer zurücklegen und dabei sogar Hochgebirge wie die Alpen überqueren! Die Strapazen des Fluges hinterlassen ihre Spuren bei den Tieren. Die weitgereisten und betagten Falter lassen sich an ihren oftmals arg zerzausten Flügeln und ihrer blassen Färbung, die durch den Verlust der bunten Flügelschuppen während ihrer Reise entsteht, erkennen. Die eingewanderten Schmetterlinge sorgen auch bei uns für Nachkommen, wobei der Distelfalter seine Eier nicht ausschließlich an den namensgebenden Disteln ablegt, sondern eine Vielzahl verschiedener Blütenpflanzen, wie Natternkopf, Malven oder Borretsch, als Nahrungspflanzen für seine Raupen nutzt. Im Spätsommer machen sich dann viele der hier geschlüpften Falter wiederum auf den Weg zurück über die Alpen in den milderen Süden. Sie sind bislang noch nicht in der Lage, den „harten“ mitteleuropäischen Winter bei uns zu überstehen.

 

Warme Winter sorgen für Hierbleiber

Ein naher Verwandter des Distelfalters, der Admiral (Vanessa atalanta), zeigt demgegenüber in den letzten Jahren eine interessante Verhaltensänderung. Auch der Admiral wandert im Frühling bei uns in Mitteleuropa ein, sein Herkunftsgebiet liegt allerdings „nur“ in Südeuropa. Und auch seine, bei uns geborenen Nachkommen, machen sich für gewöhnlich im Spätsommer auf die Reise zurück in die Herkunftsregionen ihrer Vorfahren. Allerdings bleiben inzwischen auch immer häufiger Tiere bei uns zurück und schaffen es tatsächlich, den Winter in unseren Breiten zu überstehen. Der Klimawandel begünstigt diese Entwicklung deutlich.

Neben den beiden genannten bekannten Vertretern gibt es eine ganze Reihe weiterer Schmetterlingsarten, die zu den Wanderfaltern gezählt werden. Unter ihnen befinden sich auch diverse Nachtfalter, wie die Gammaeule (Autographa gamma), der schnell fliegende Windenschwärmer (Agrius convolvuli) oder das Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum), das mir seinem Schwirrflug an einen Kolibri erinnert.

 

Mit Rückenwind über Meere und Berge

Heidelibelle
Heidelibelle

Schmetterlinge sind allerdings bei weitem nicht die einzigen Insekten, die regelmäßig auf Wanderschaft gehen. Auch unter den Libellen gibt es mehrere Arten, die aus dem Mittelmeerraum oder gar dem tropischen Afrika zu uns einfliegen können. Mit entsprechender Windverfrachtung gehören ihre Flugbewegungen zu den weitesten Strecken, die von Insekten zurückgelegt werden können. Auf Island gefundene Exemplare der Schabrackenlibelle (Hemianax ephippiger) etwa, müssen Distanzen von mehr als 6000 Km zurückgelegt haben. Unregelmäßige Einflüge nach Hessen konnten in den letzten Jahrzehnten z.B. von der Südlichen (Sympetrum meridionale) und der Frühen Heidelibelle (S. fonscolombii) oder der Südlichen Mosaikjungfer (Aeshna affinis) verzeichnet werden. Dabei gilt, wie auch bei den Faltern, je besser die Flugbedingungen, desto mehr Tiere können zu uns einfliegen. Dass die Wetterlagen in diesem Sommer für die „Invasoren“ offenbar mehr als günstig waren, zeigen die Beobachtungen von etlichen Frühen Heidelibellen im zentralen Burgwald, die, laut Literatur, offenbar hier bislang noch nicht gefunden wurden. Bei geeigneten Bedingungen sind diese Arten in der Lage, bodenständige Populationen aufzubauen, die bislang aber meist nur vorübergehend bestehen.

 

Klein aber zäh

Hain-Schwebfliege
Hain-Schwebfliege

Doch nicht nur vergleichsweise große Insekten sind in der Lage, lange Wanderflüge zurück zu legen. Von unseren etwa 400 heimischen Schwebfliegenarten z.B. zählt man ebenfalls mindestens 30 Arten zu den wandernden Insekten, allen voran die häufige Hain-Schwebfliege (Episyrphus balteatus). Die eifrigen und nützlichen Blütenbesucher nehmen es mit ihrem nur wenigen tausendstel Gramm Körpergewicht mit so manchem Alpenpass auf. Mit ihren kleinen Flügelchen trotzen sie dabei Wind und Wetter und lassen sich von ihrer eingeschlagenen Wanderflugroute kaum abbringen. Eine wahrlich spektakuläre Leistung für solche Winzlinge…

 

 

 

 


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